BASTFASERN, CHANCEN UND NUTZEN

Dr. Eckhard Grimm
Institut für Acker- und Pflanzenbau Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Ludwig-Wucherer-Str.2 | D-06099 Halle (Saale)
www.landw.uni-halle.de

Bastfasern sind Stängelfasern, die der Pflanze oberirdisch mechanische Stabilität verleihen. Faserzellen kommen gehäuft an der Peripherie der Sprossachse vor und absorbieren an deren Flanken auftretende Streckungen und Stauchungen. Sie bleiben bei mechanischer Isolierung über gemeinsame Pektinlamellen verbunden und sind so in einem Faserbündel vereinigt. Faserzellen zeichnen sich durch stark verdickte Zellwände aus und besitzen einen zentralständigen Hohlraum (Lumen), der zur geringen Dichte des Faserbündels beiträgt. Die Verdickung geht auf zellulosehaltige Zellwandlamellen zurück. Zellulose liegt in Mikrofibrillen vereinigt vor. Deren Anordnung bestimmt die Art und Weise der Kraftabsorption. In Bastfaserzellen sind die Mikrofibrillen der dicksten Zellwandlamelle (S2) bezogen auf die Zelllängsachse steil gestellt. Dies korreliert mit hoher Zugbelastbarkeit.

Diese Strukturvorleistung der Pflanze kann auf technische Produkte übertragen werden. Voraussetzung ist die Gewinnung des Rohstoffs Faser in größerem Umfang. Als anbauwürdige Bastfaserpflanzen kommen für den mitteleuropäischen Raum Hanf (Cannabis sativa L.), Flachs (Linum usitatissimum L.) und auch Nessel (Urtica dioica L.) in Frage.

Produktion Flachs, Hanf
Für Flachs existiert eine ausgereifte Technologie zur Erzeugung von Fasern hoher Qualität. Flachs wird in dichten Beständen angebaut, mittels Raufen geerntet und parallel im Schwad zur Tauröste auf dem Feld abgelegt. Unter Beibehaltung der Parallellage wird mehrmals gewendet. Nach Erreichen eines mittleren Röstgrades wird das Flachsstroh in Rundballen gepresst. Die geordnete Lage der Pflanzen erlaubt nach Auflösen des Ballens und Abstreifen der Kapseln eine kopf- und fußseitige Bearbeitung des Strohs mit Schwingturbinen, wodurch es zur Trennung von Fasern und Schäben kommt. Neben kurzfasrigem Werg wird eine feine, direkt verspinnbare Langfaserfraktion gewonnen, was eine Nutzung in textilen Produktionslinien gewährleistet.

Ein Spektrum zugelassener Faserhanfsorten (THC-Gehalt in der oberirdischen Biomasse maximal 0,2%) darf von landwirtschaftlichen Unternehmen angebaut werden. Nach kurzer Entwicklungszeit bildet der Hanf dichte, schnell wachsende Bestände, die mittels Mähhäcksler oder Stufenmähwerk geerntet werden. Das in Wirrlage abgelegte Stroh wird in der Regel einer Tauröste unterzogen, wodurch die gewinnbaren Fasern deutlich verfeinert werden. Die Faserisolierung erfolgt in Brecherlinien in Kombination mit mechanischen Verfeinerungsaggregaten (Kotonisierung) oder durch Prallaufschluss. Die so gewonnen technischen Fasern sind grob und erfüllen nicht die Voraussetzungen für eine direkte textile Verarbeitung (Verspinnen). Sie können jedoch zu Matten und Rovings für werkstoffliche Anwendungen genutzt werden. Technologien zur Hanffaserveredelung (Dampfdruck- und Ultraschallaufschluss) sind entwickelt, aber in Deutschland nicht praktisch umgesetzt.

Nesselanbau und -verarbeitung sind derzeit noch unbedeutend.

Mechanische Eigenschaften, Verbundwerkstoffe
Isolierte Bastfasern zeichnen sich durch hohe Zugfestigkeiten und Steifigkeiten, geringe Dichte und ein ausgeprägtes Wasserdampfaufnahme und -abgabevermögen aus. Neben der Textilverarbeitung mit hoher Wertschöpfung kommen Fasern in Werkstoffen zum Einsatz. Hierwerden bisher auch durch Verschneiden mittlere Rohstoffqualitäten genutzt. Beispiele eigener Untersuchungen zeigen, dass Fasereigenschaften durch die landwirtschaftliche Produktionstechnik und Erstverarbeitung beeinflusst werden können: Erntetermin und Röstgrad bestimmen die Faserfeinheit, die teilweise auch durch mechanische Faserisolierung verringert werden kann. Die Analyse von zahlreichen Produktionsvarianten zeigt, dass Abstufungen von Zugfestigkeit und E-Modul gegenüber der der Feinheit geringer sind.

Voraussetzung für die Übertragung von Fasereigenschaften auf Verbundwerkstoffe ist eine hinreichende Wechselwirkung zwischen Matrix und Faser. Hierzu trägt neben weiteren Faktoren (Hydrophobisierung, Haftvermittlung) eine hohe spezifische Oberfläche der Fasern bei. Dies bietet Ansatzpunkte, Fasern ausgesuchter Qualität zu produzieren und gezielt in Werkstoffen zu nutzen. Bastfasern sind außerdem stark hygroskopisch. Dies begründet einerseits eine günstige raumklimatische Wirkung. Wasserdampfquellung sowie ein Memory-Effekt erfordern andererseits einen sorgfältigen Umgang mit dem Rohmaterial bei der Verarbeitung zu Compositen.

Anwendung
Derzeit werden in der deutschen Automobilindustrie mit steigender Tendenz jährlich etwa 18.000 t Fasern benötigt. In Composit-Werkstoffen werden sie zu 35% für duroplastische, zu 64% für thermoplastische Formpressteile eingesetzt. Die Spritzgießverarbeitung steht mit rund 1% an der Schwelle einer größeren praktischen Nutzung (Nova-Institut, Hürth). In Hanfanbaufläche umgerechnet, würde der o.g. Bedarf etwa 12.000 ha entsprechen, wobei tatsächlich rund 2.000 ha und weniger bei rückläufiger Tendenz in den letzten Jahren bestellt worden sind. Auch das Produktionsvolumen von Flachs ist mit unter 500 ha Anbaufläche äußerst gering (Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, Gülzow). Vorzügliche Isolationseigenschaften von Bastfasern eröffnen den Zugang zum Dämmstoffmarkt. Preisnachteile von Dämmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen, darunter Bastfasern, gegenüber herkömmlichen Produkten (Steinwolle) werden derzeit durch staatliche Förderung ausgeglichen.

Eine limitierte Bereitstellung von Bastfasern als Rohstoff durch die Agrarwirtschaft ist auch angesichts wachsender Anteile landwirtschaftlich erzeugter Energieträger bisher nicht zu befürchten, so dass in absehbaren Zeiträumen das Potential für eine kontinuierliche Rohstoffverfügbarkeit besteht. Aufgrund der Kostensituation kann ein wesentlicher Durchbruch bei der Nutzung von Bastfasern nur erwartet werden, wenn es gelingt, unter Ausnutzung von Qualitätsabstufungen des Rohstoffs hochwertige Produkte zu erzeugen.