BIOVERBUNDWERKSTOFFE

Enrico Wilde | Stefan Oßwald
Hochschule für Kunst und Design | Neuwerk 7 | D-06108 Halle
www.burg-halle.de

Naturfasern bzw. daraus entwickelte intelligente Werkstoffe konnten sich in den letzten Jahren angesichts der Knappheit fossiler Ressourcen sowie staatlicher Restriktionen zugunsten der Umwelt zunehmend Beachtung verschaffen. Die energetische Faserverwertung ist recht weit fortgeschritten, wohingegen es an Lösungen im Konsumgüterbereich zu mangeln scheint.

In einem interdisziplinären Ansatz sucht die Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung neue Anwendungsmöglichkeiten für BioVerbund-Werkstoffe. Dabei wurden neue und bisher so nicht in Anwendungen erprobte Werkstoffvarianten in gebrauchsorientiert gestalteten Produkten untersucht. Hierfür stehen diverse Semester- und Diplomprojekte sowie die aktuelle Forschungsarbeit „Faserverstärkte Komposite für Raumausstattungen“. Hervorzuheben sind gemeinsame Anstrengungen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) in Braunschweig und dem Fraunhofer Institut für Werkstoffmechanik Halle, aus denen sich spannende Impulse für die Weiterentwicklung des Materials auf beiden Seiten ergaben. Nicht nur schutzfähige Ideen wurden geboren, sondern auch Prototypen entwickelt, die auf internationalen Fachmessen Beachtung fanden und mit Preisen ausgezeichnet wurden.

Werkstoff und Fertigungstechnologien
In BioVerbund-Werkstoffen übernehmen Naturfasern (Baumwolle, Flachs, Hanf, Jute) die Aufgabe der Verstärkung. Sonstige Pflanzenbestandteile dienen der Verfüllung. BioVerbünde bestehen aus einem so genannten Matrixwerkstoff, in den die Faser oder die Verfüllungskomponente eingebettet wird. Solche Matrices werden vorwiegend aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen. Grundsätzlich lassen sich Bioverbundwerkstoffe in überwiegend industriellen, kunststoffnahen Formgebungstechnologien verarbeiten, sofern die Besonderheiten der Naturfasern wie endliche Länge, natürliche Variation und so weiter berücksichtigt werden. Solche Verfahren sind: Presstechnik, Spritzguss, Extrusion, Pultrusion, Harzinjektion oder Faserwickelverfahren.

Nachhaltige Gestaltung
Bei der Frage der Gestaltung von Produkten zählen nicht allein die Erfüllung einer Aufgabe, die Situation am Markt, Herstellungskosten, technische Machbarkeit etc., sondern auch Energieverbrauch und Umweltverträglichkeit. Begreift man die Tatsache als Chance, ergeben sich Wettbewerbsvorteile zu Konkurrenten (besseres Image, Verbrauchergewinn, Material-/ Energieminimierung, niedrigere Abgaben und Entsorgungskosten für Abfall und Emission). Deshalb gilt es in der Verbindung von Forschung und Design Ansätze zu finden, die auf die Verlängerung des Lebenslaufes, die Schließung des Stoffkreislaufes oder die Gewährleistung sparsamer und umweltverträglicher Produktkreisläufe abzielen.

Bioverbundwerkstoffe verfügen von Haus aus über Merkmale für eine positive Umweltbilanz. Bis zu einem gewissen Grad kann die pflanzliche Strukturvorleistung energiesparend in den Werkstoff überführt werden. So bestechen beispielsweise faserarmierte Verbünde durch ihr geringes Leistungsgewicht. Zugfestigkeit, Steifigkeit und Bruchdehnung stehen in erfolgreicher Konkurrenz zu E-Glasfasern, weswegen sie in vielen Bereichen für den technischen Leichtbau prädestiniert sind.

In Zeiten hoher Anforderungen an Mobilität gibt es eine erhöhte Nachfrage nach solchen Produkten. Hierfür spricht Flexibilität und Handhabbarkeit für den Verbraucher und der geringe Energieverbrauch im gesamten Produktzyklus. Transporte innerhalb der Fertigungskette, zum und beim Verbraucher selbst fordern ein akzeptables Eigengewicht. Auch beim Thema Recycling stellen Bioverbünde eine umweltfreundlichere Alternative zu klassischen Verbünden dar, sei es durch die Möglichkeit der Rohstoffrückgewinnung oder einer CO2-neutralen thermischen Verwertung. Bei der stofflichen Verwertung kann darüber hinaus Methanol gewonnen werden.

Substitution und Werkstoffgesicht

Trotz der bereits teilweise ausgereiften Technik erscheint die Verwendung von Rohstoffen aus Naturfasern in vielen Wirtschaftsbereichen noch unattraktiv. Der wohl am häufigsten zitierte Einsatzbereich für BioVerbunde ist der Automobilbau, wo mit naturfaserverstärkten Kunststoffen schon in großen Mengen erfolgreich substituiert wird. Um von Kunstfasern nicht gekannte Schwankungen der Qualität oder typischem Geruch entgegenzuwirken, dienen sie hier bislang als kaschierter und damit unsichtbarer Trägerwerkstoff und kämpfen mit einem Image als Ersatzwerkstoff.

Die neuen Werkstoffe aus BioVerbund lassen aber ein hohes Maß an Innovation insbesondere dann erhoffen, wenn es gelingt, ihre speziellen Merkmale herauszuarbeiten und in sinnvolle Produktlösungen zu überführen. Vorerst vermeintlich nachteilige Eigenschaften müssen dabei auch gelten dürfen.

Es können völlig neue Anwendungsgebiete ‚erfunden’ werden, sofern eine gewisse Sorgfalt bei der Suche realer wirtschaftlicher, funktionaler und emotionaler Bedürfnisse verwendet wird. Diese lassen sich gerade deshalb effizient darstellen, weil sie nicht als Substitut fungieren. Auf der anderen Seite zeigt das Beispiel der Automobilindustrie, dass sich der Kommunikationsgrad der neuen Werkstoffe auf einem sehr geringen Level bewegt. Deshalb arbeiten wir daran, naturfaserverstärkten Biopolymeren neue Einsatzbereiche zu eröffnen, die ästhetische Erscheinung der Werkstoffe bewusst zur Geltung zu bringen. Bio-Verbund ist ein Zwitterwesen. Die Verarbeitungsweise und die daraus resultierende Formensprache rücken ihn in die Nähe der Kunststoffe. Bei Betrachtung seiner Materialästhetik ist er eher mit den Naturstoffen verwandt. Diese Eigenständigkeit gilt es herauszuarbeiten.

Insbesondere Oberflächen müssen sichtbar werden und über eine überzeugende Qualität verfügen. Bereits innewohnende Merkmale wie angenehme Haptik, die Interaktion des Materials mit seiner Umwelt durch Aufnahme von Feuchtigkeit sowie von Gebrauchsspuren sind so auszubauen, dass deren Herkunft aus der Natur markant wird. Mit der Kultivierung von Fehler und Zufall spiegelt sich Lebendigkeit wieder und macht den Werkstoff zu einem stark emotional erfahrbarem Erlebnis. Durch eine solche selbstbewusste Kommunikation von Materialität, sowie Transparenz angewandter Fertigungsverfahren kann der Werkstoff in seiner Bandbreite höhere Attraktivität und Akzeptanz sowie preisliche Unabhängigkeit erfahren.

Gestaltungsbeispiele
h.i.p. Handfreundliches ImageProdukt
Der h.i.p ist ein Werkstoff-Imageprodukt für das DLR. Es handelt sich dabei um einen Informationsträger, der die besonderen Eigenschaften von BioVerbünden auf sinnliche Weise transportiert – ‚begreifbar’ macht. Die Bandbreite erzeugter Oberflächen basiert auf dem Versuch, Produkt-Lebens-geschichten wirksam werden zu lassen. So wurden gezielt Patina oder Abnutzungserscheinungen einkalkuliert. Der h.i.p. dient auf Messen als ‚Give-Away’ für interessierte Besucher. Im Inneren be-findet sich eine CD-ROM, die die Werkstoff-Informationen audiovisuell in Form eines Trickfilms bündelt.

Klimatisiertes Möbel
Stellen Sie sich vor, man könnte, ähnlich wie das eine Klimaanlage im Auto bewerkstelligt, Möbel direkt klimatisieren. Im Sommer wäre die Oberfläche Ihres Liegestuhls angenehm kühl, im Winter ginge eine wohlige Strahlungswärme von ihm aus. Schränke bewahren Lebensmittel kühl auf oder Regale fungierten als Flächenheizung. Es werden Strategien zur energetisch sinnvollen Klimatisierung im Wohnbereich unter-sucht. Ausgangspunkt sind hanfschäbenverfüllte, flächenbildende Extrusionsprofile des Fraunhofer-Institutes, deren Hohlkammern zum kreativen Umgang einladen.

Verbinder für Möbelsysteme
Verbinder für neue Werkstoffe stellen eine besondere Herausforderung dar, weil sie sich an den neuen Eigenschaften zu verbindender Halbzeuge orientieren müssen. Der Elastomerniet dient zum Kontern von Winkelprofilen, welche in flächenbildende Extrusionsprofile gesteckt, simple Möbelstrukturen wie Stühle oder Regale ermöglichen. Dieser dehnbare Niet nutzt die Materialverjüngung bei Längung und verkeilt sich bei Entspannung. Auf diese Weise gleicht der lösbare Verbinder prozessbedingte Toleranzen des Extrusionsprofils aus.

Bilanz
Es kommt darauf an, das Wesen der Werkstoffinnovation bei BioVerbünden auffällig und selbstbewusst darzustellen. Dabei sind insbesondere jene Eigenschaften gemeint, die sich aus der Materialität, der Verarbeitung oder dem Gebrauch möglichst in der Gestalt (Form, Funktion etc.) der Produktlösung niederschlagen. Teils ergeben sich diese automatisch, teils müssen sie erst herausgearbeitet, überhöht, kontrastiert und von Störfaktoren befreit werden. Bestenfalls wird ein Teil der Geschichte des Werkstoffes oder seines Entwurfes erzählt. Es kommt darauf an, einer breiten Masse von Herstellern vor dem Hintergrund ihres eigenen Firmen-Know-Hows Möglichkeiten für neue Fertigungs- und Absatzfreiräume zu eröffnen. Darüber hinaus müssen Ferti-gungstechnologien kostengünstig gestaltet werden, um die Marktchancen über einen konkurrenz-fähigen Werkstoffpreis beträchtlich zu vergrößern.

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